In den Sommerferien rief ich einmal zu Beginn der Kindertrainingsstunde die Kinder auf, zu schätzen, wie viele Blöcke es im Karate eigentlich gibt.
Die Schätzungen reichten von 7 bis über 100. Als ich ihnen sagte, es gibt keinen einzigen, schaute mich eine Batterie großer Augen und noch größerer Münder an.
„Aber Age-Uke ist doch der Block oben und Gedan-Barai ist der Block unten!?“
Nö.
Um das zu erklären, muss man sich zuerst mal vor Augen führen, woher das „Block-Missverständnis“ kommt und was ein Block ist.
Age-Uke, Soto-Uke, Gedan-Barai, Uchi-Uke, Shuto-Uke und wie sie alle heißen benutzt man zur Abwehr. So weit, so gut, so richtig. Eine Abwehr jedoch bedeutet nicht unbedingt, etwas zu blocken. Es kann auch das Aufnehmen, Umlenken, Ausweichen, Annehmen, … sein. Euch fallen sicher noch mehr Möglichkeiten ein.
Der Einfachheit halber wird nun oft angenommen, etwas abzuwehren, hieße, es abzublocken. Der Bequemlichkeit halber – der Mensch ist nun mal ein bequemliches Tierchen – gewöhnt man sich im Laufe der Zeit das kürzestmögliche Wort an.Aus „Fauststoß“ wird „Schlag“, aus „Fußstoß“ wird „Tritt“ und aus „Abwehr“, na? Richtig: „Block„!
Nicht nur die Schüler nehmen diese Bequemlichkeit sehr gerne an, auch die Ausbilder, Trainer, Co-Trainer usw., auch ich muss ehrlicherweise zugeben, dass ich oft genug „Block“ sage, obwohl ich es besser wissen sollte.
„Okay. Abwehr, schön und gut, aber was sind nun Blöcke?“
Etwas zu blocken oder zu blockieren bedeutet, dem etwas in den Weg zu stellen, was mindestens dieselbe Kraft hat, wie das kommende Objekt, in unserem Fall also der Angriff. Es hieße, wir würden Arm(e) oder Bein(e) direkt gegen die ankommende Faust oder den Fuß halten, um wie ein Rammbock die Kraft aufzufangen. Gerade in der Selbstverteidigung gegen Stöcke, Schläger und andere Hiebwaffen wird schnell deutlich, was man davon hat: Großes Aua.
Wenn man sich mal intensiv mit unseren Uketachi und Baraitachi beschäftigt, sieht man schnell, dass es keine einzige Technik gibt, die man stur einem Angriff in den Weg hält. Alle Abwehrtechniken haben das Ziel, den Angriff des Gegners umzulenken, zu reflektieren, an einem selbst vorbeizulenken, aufzunehmen und für den Gegenangriff zu nutzen oder irgendwas in dieser Richtung. Einige lassen sich sogar als Angriff auf den gegnerischen Angriff verwenden.
Also wissen wir nun über Blöcke:
- Das „Block-Missverständnis“ beruht auf Bequemlichkeit und dem Drang, das kürzeste denkbare Wort zu benutzen, das die Bedeutung wenigstens ungefähr widergibt.
- Ein Block ist, der Kraft eine mindestens gleichgroße Kraft in den Weg zu stellen, eine Abwehr ist ein Umformen der gegnerischen Kraft zum eigenen Vorteil.
Und was bedeutet Uke jetzt, wenn nicht Block? Und Barai??
Das japanische Wort „ukeru“ (受ける) bedeutet „erhalten, empfangen, annehmen“. Der Angriff soll also angenommen und damit gearbeitet werden, das bedeutet „Uke“. Auch in Partnerübungen sind die beiden Partner als „Tori“, der Ausführende und „Uke“, der Annehmende bezeichnet.

Das japanische Wort „barai“ (払い) bedeutet „fegen, kehren“, als „harai“ ausgesprochen auch „Lohn, bezahlen“ und ähnliches. Es geht also darum, etwas wegzufegen, wegzukehren. Der Gedan-Barai fegt den Angriff nach außen weg, der Ashi-Barai fegt den Gegner von den Füßen und so weiter.
So sehen wir nun also, es gibt tatsächlich keinen einzigen Block im Karate. Natürlich werden wir sie weiterhin als Blöcke bezeichnen, wenn wir nicht daran denken, dass es sie gar nicht gibt, aber keiner von uns dürfte ernsthaft auf die Idee kommen, einem schwungvollen Mawashi-Geri einfach mal so den Arm in den Weg zu halten. Hoffe ich.
Ich hoffe, ich konnte Euren Weg der Leeren Hand etwas weiter erhellen und wünsche Euch weiterhin viel Spaß beim Training!
Yoroshiku onegai shimasu!