Okay, so neu ist sie nicht mehr, das gleich zu Beginn. Es lässt sich schon seit einigen Jahren beobachten, dass sich der Straßenkampf verändert hat, dass ein „Trend“ zu uns herüberschwappte, der sich anscheinend so schnell nicht mehr umkehren lässt.
Was hat sich eigentlich geändert? Wie war es früher, wie ist es heute?
*Zeitsprung* Straßenkampf im 20. Jahrhundert
Ende des letzten Jahrhunderts. Die Welt war noch leicht verkatert von der Wendezeit, dem Aufbrechen des Ostblocks und dem Zerfall der Sowjetunion.
Begeben wir uns mal in eine Oberschule und schauen uns an, wie die Prügelei aussieht, die da hinten rechts im Gange ist.

Was sehen wir: Eine Gruppe Schüler, hauptsächlich junge Männer, steht in einem halbwegs als solchen erkennbaren Kreis um zwei weitere Vertreter ihrer Spezies herum, die sich grad mächtig lieb haben. Plötzlich BÄMM! einer geht zu Boden. Gehen wir näher ran, was macht der andere? Er steht vor ihm, gestikuliert wild und brüllt: „Steh auf! Komm schon!“ Sein Tanzpartner mag aber nicht mehr.
Die Show ist vorbei. Was haben wir jetzt gesehen?
- Eins-gegen-Eins, die umstehenden feuerten zwar den einen oder den anderen an, mischten sich ansonsten aber nicht ein.
- Es war zu Ende, als einer am Boden lag.
Zurück in die Gegenwart.
*Zeitsprung* Straßenkampf im 21. Jahrhundert
2014, gleiche Schule, neue Generation Schüler. Was sehen wir?
Ein Schüler kommt schon mit hängenden Ohren durchs Tor und wird gleich von seinem „besten Freund“ entdeckt, der sofort mit ein paar weiteren ebensobesten Freunden zu ihm geht und ihn zunächst erstmal schubst.
Der einzelne Schüler lässt das noch über sich ergehen und geht einfach weiter, schließlich wird ihm ein Bein gestellt, er schlägt der Länge nach hin, kommt jedoch schnell wieder auf die Beine. Eine Faust kommt, unser bisher so scheuer Schüler reagiert automatisch, wie er es im Karate trainiert hat, blockt, kontert… böser Fehler.. Auf einmal springen alle wie von der Tarantel gestochen auf, ganz nach dem Motto „Wie kann er es wagen, sich zu wehren“ und attackieren ihn von allein Seiten. Natürlich liegt er bald am Boden. „Harte Bandagen“, denken wir uns noch und wenden uns ab, schließlich liegt er ja am Boden, der Kampf müsste vorbei sein.
Weit gefehlt, in einem engen Kreis stehen sie um ihr Opfer und treten noch auf ihn ein. Würden wir nun dazwischengehen, um es etwas ausgeglichener zu machen, hätten wir den Katzenkampf-Effekt und sie würden nun auf uns losgehen.
- Viele gegen einen, vornehmlich einen, der schon einem von ihnen gegenüber schwächer gewesen wäre.
- Liegt er am Boden, ist der Kampf nicht vorbei, sondern er wird nur zu einem unbeweglichen Ziel.
- Wer helfen will, wird das nächste Opfer.
Das ist die traurige Realität des 21. Jahrhunderts, es werden sich gezielt Schwächere gesucht. Die greift man trotzdem im Rudel an. Und geht das Opfer zu Boden, wird das als Einladung zum Tontaubenschießen verstanden. Man tritt auf ihn ein, bis es sich gar nicht mehr rührt. So geht Straßenkampf heute.

Was nun, was tun?
Es ist aus dieser Realität heraus die Aufgabe der Trainer und Ausbilder, die Schüler auf die veränderten Gegebenheiten vorzubereiten.
- Bodenkampftechniken
- Kampftechniken gegen mehrere Gegner
- Taktiken bei sich ankündigenden Kämpfen
- Erkennen des Rädelsführers
- Grappling
- Zanshin
- und so weiter und so fort.
Das tolle ist ja, das alles gibt es schon im Karate. Griffe, Hebel, Würde, Grappling und wie man das alles auch nennen will. Das alles gibt es, man muss es nur lehren.
Auch Projekte, um in die Öffentlichkeit zu gehen, Menschen zu sensibilisieren, eine Stadt gewaltfrei zu machen, sind Potenzial einer Kampfkunstschule. Schulen und Verbände, wie die IRKRS und ihre angeschlossenen Kampfkunstschulen zeigen, wie man mit Engagement und Hingabe dieses Potenzial ausschöpfen kann.
Woher kommt diese Unart, sich wie ein Wolfsrudel auf Schwächere zu stürzen?
Und selbst dann noch weiterzumachen, wenn das Opfer am Boden liegt?
Soziohistologische Beobachtungen deuten hier in der Tat nach Amerika. Die Zeiten des Bare-Knuckle-Fighting sind vorbei, in denen es nur um die Ehre ging. Heutzutage geht es nur noch um den Sieg um jeden Preis.
Es zeigte sich, dass sich in den späten 80ern und frühen 90ern des zwanzigsten Jahrhunderts die Mentalität auf der Straße änderte. Ein Straßenkampf war nicht vorbei, wenn einer am Boden lag, sondern es wurde Rache gesucht, Genugtuung gefordert. Der schwächere versammelte seine Leute um sich und ging nun auf den stärkeren los. Die Bandenkriege am Ende des kalten Kriegs wurden zu taktischen Vorbildern.
Schließlich übernahmen die Täter dieses Verhalten, um Rache von vornherein auszuschließen. Um sich von Anfang an als überlegen darzustellen, griffen sie im Rudel an. Und hörten erst auf, als das Opfer sich nicht mehr rührte. Somit sollte ihm gleich eingeimpft werden, dass er sich in Gefahr für Leib und Leben begibt, sollte er Rache suchen. Durch die sich immer weiter vernetzende Welt kam dieses Verhalten mit ein paar Jahren Karenz auch in Europa an. Allerdings nur dieses Verhalten und nicht der Gedanke dahinter. So wurde es allgemein normal, sich in Gruppen auf Einzelne zu stürzen und sie bis zur Bewusstlosigkeit zu traktieren, denn „das macht man eben so heutzutage“. Dass dieses Verhalten einfach nur aus Angst vor der Retourkutsche heraus entstand, ist nicht mit importiert worden.
